
Copyright: Sony Pictures / 2017 Frenesy Film Company SRL and La Cinefacture SARL.
Es ist warm, die Vögel zwitschern und das Wasser des Sees lädt zum Planschen ein. Sechs Wochen Zeit, in der Sonne zu liegen und das zu tun, wonach einem der Sinn steht. Auch wenn Call me by your Name von Luca Guadagnino in einer Zeit spielt, die man möglicherweise nicht erlebt hat – man taucht direkt hinein, fühlt den Sommer und eine Unbeschwertheit, ihresgleichen sucht.
Italien 1983 – Elio (Timothee Chalamet) verbringt mit seinen Eltern die Sommerzeit in einer Villa. Er liest, transkribiert klassische Musik, treibt sich mit Jugendlichen seines Alters herum und verbringt auch Zeit mit Marzia, einer Freundin aus dem Ort. Während dieser alljährlichen Ferienzeit laden seine Eltern einen Studenten in die eigene Villa ein, der Elios Vater, einem angesehen Professor der Archäologie, bei seiner Forschung zu Hand geht. In diesem Jahr trifft die Wahl auf Oliver (Armie Hammer), einem Studenten aus den USA, der bereits bei seiner Ankunft durch sein selbstsicheres Auftreten Interesse erregt. Elio, der mit der Art des Austauschstunden zunächst fremdelt, freundet sich mit Oliver bald schon an und merkt, dass ihn noch stärkere Gefühle heimsuchen. Elio beginnt mit Annäherungsversuchen, die schon bald erwidert werden. Es beginnt ein Sommer, der für Elio und Oliver ganz besonders prägend wird.
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Call me by your Name von Luca Guadagnino ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Adre Aciman und versucht nun, den literarischen Klassiker auf die Kinoleinwand zu übertragen. Und, das kann man mit Sicherheit behaupten, schafft er im besten aller Sinne. Es ist erstaunlich, wie gut Guadagnino das sommerliche Gefühl einfängt, dass wir alle schon einmal gespürt haben. Sorgenfreiheit in dieser Zeit, die Entschleunigung und vielleicht sogar manchmal die Langeweile. Der Film lässt sich Zeit, um genau diese Gefühle zu demonstrieren, ganz sachte, ganz langsam. Gerade zu Beginn bekommen wir eine Vielzahl an Aufnahmen der Umgebung und Natur der Lombardei zu sehen, ein Gefühl für die Umgebung, die mit Klavierklängen und dem Soundtrack von Sufjan Stevens perfekt eingefangen wird. Nun ließe sich gerade in der ersten Hälfte der Vorwurf erheben, dass nicht wirklich viel passiert. Und das ist absolut richtig. Call me by your Name ist unaufgeregt in seiner Anfangszeit und lässt nur langsam eine Handlungsentwicklung zu. Mit langsam ist hierbei aber nicht langatmig gemeint. Die zeitintensiven Einstellungen, die überdies stets mit gleicher Kamera und Objektiv gedreht wurden, sorgen für eine Entschleunigung, die sehr im Kontrast zu populären Produktionen unserer Zeit stehen. Vielleicht, aber auch deshalb sticht die Machart des Filmes hier so hervor. Wir erleben mit Elio und Oliver die Idylle des italienischen Sommers in der Lombardei und saugen die Bilder in uns auf, werden ein Teil davon.

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Aber nicht nur die filmische Ebene, auch das Schauspiel begeistert bei diesem Film. Alle Schauspieler:inen schaffen Charaktere, die nachvollziehbar und lebendig wirken. Wir können förmlich spüren, wie Elio mit seinen Gefühlen zu kämpfen hat, wie zerissen Oliver ist, wenn es darum geht, die Avancen Elios zu erwidern. Aber auch das Spiel Elios Eltern und Marzia bleibt uns im Gedächtnis als fürsorglich und umsichtig, aber keineswegs naiv. Vor allem der Vater, gespielt von Michael Stuhlbarg, legt zu Ende des Films in einem Monolog seinem Sohn seine eigenen Gefühle der Vergangenheit und sein Verständnis der Zuneigung so eindrucksvoll auf den Tisch, dass man nur in den Bann gezogen werden kann.
Der Regisseur Guadagnino ist gut darin, Bilder für sich sprechen zu lassen, Schweigen und Stille zu nutzen. So etwa an einem kleinen italienischen Bahnhof, in der Oliver und Elio so gut wie nichts zueinander sagen. Diese Szene spricht so viel durch Haltung, Blicke und Körpersprache der Charaktere, sodass wir genau wissen, was in den Beiden vorgeht. Und auch wenn Elio niedergeschlagen und weinend nach Hause gefahren wird, reichen Blicke und liebvolle Gesten der Mutter, um ihm Trost zu spenden und uns emotional abzuholen. In diesen Szenen fällt auf, dass Call me by your Name auch auf Musikuntermalung verzichten kann, die in anderen Werken bei solchen Szenen zumeist zu Verstärkung der Emotion genutzt wird. Guadagnino vertraut jedoch der Strahlkraft der Bilder. Und das ist gut so, denn Call me by your Name hat diese Form der Gefühlsverstärkung überhaupt nicht nötig. Die Chemie der Figuren, die Sehnsucht und Liebe zwischen Elio und Oliver, all das lässt das Gespür erstarken, selbst dort zu sein und den Sommer mit ihnen zu teilen. Wir sehen das Leben mit all seinen Facetten in einem kurzen Ausschnitt, wir fühlen mit, haben Schmetterlinge im Bauch, leiden, weinen und freuen uns. Diese Gefühlsausbrüche sind es, die den Film zu einem einzigartigen Erlebnis machen.

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Auch wenn Call me by your Name längst kein Geheimtipp mehr ist, muss betont werden, wie einprägsam der Film aus dem Jahre 2017 ist. Er zaubert uns die Geschichte zweier Menschen auf die Leinwand, deren Zuneigung wir förmlich spüren. Diese Vermischung aus Kunst der Antike, den sommerlichen Bildern Italiens und erotischen Szenen lassen uns Call me by your Name trotz seiner Langsamkeit jederzeit gebannt verfolgen. Luca Guadagnino hat einen Film erschaffen, der seiner Vorlage mehr als gerecht wurde. Vielmehr haben wir es hier mit einem Film zu tun, der schon jetzt als ein Klassiker des Kinos angesehen wird – und das völlig zurecht.
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