Momente der Familienidylle in Beautiful Boy. Ein Bild, an dem wir uns klammern wollen.

Copyright: Courtesy of Amazon Studios

„Ich sehe ihn manchmal an, diesen Jungen, den ich großgezogen habe. Und von dem ich dachte, dass ich ihn in- und auswendig kenne. Und ich hab keine Ahnung er er ist.“ – David Sheff

Wer ist mein Sohn?

In Beautiful Boy erleben wir David Sheff, einen gutmütigen Vater und Reporter der New York Times, der mit seinem Sohn Nicolas Sheff sowie seiner zweiten Ehefrau Karen und zwei weiteren Kindern in einem wundervollen Haus in Kalifornien, das von riesigen Bäumen umgeben ist und die Idylle schlechthin darstellt. Doch die augenscheinliche Idylle ist gestört, denn seit zwei Tagen ist Nic verschwunden. Als er zurückkommt, bemerkt David, dass sein Sohn unter Einfluss von Drogen steht. er beschließt, mit ihm eine eine Suchtklinik zu fahren, damit ihm professionelle Hilfe gegeben wird. Nachdem Nic in der Einrichtung Fortschritte zu machen scheint, wird er auf eigenen Wunsch in die offene Einrichtung versetzt, aus der er jedoch verschwindet. David begiebt sich auf die Suche und findet seinen Sohn, der offensichtlich einen Rückfall erlitten hat. Es folgt eine Zeit der Höhen und Tiefen, der verzweifelten Suche der Familie nach einer Lösung und der Erkenntnis, dass es diese manchmal nicht finden kann.

Die Suche nach einem Ausweg

Nic schafft den Absprung und geht auf das College, um Schriststeller zu werden und glänzt dabei als guter Student. Auch seine Sucht scheint gebannt, doch als er eine Beziehung mit der Kommilitonin Julia beginnt, gerät auf einer Familienfeier diese Absitenz schon wieder einzubrechen. Erst konsumiert Tabletten, danach jedoch fängt er an, Crytmal Meth zu nehmen. Es beginnt für Nic eine scheinbar ausweglose Situation, die auch sein Vater durch seine Recherchen und Beratungen mit Ärzten erkennen muss. Denn diese Droge, so der Arzt, macht es Betroffene quasi biologisch unfähig, mit dem Konsum aufzuhören. In seiner Verzweiflung geht David bis an seine Grenzen und versucht sogar Selbstexperimente, um zu verstehen, wie die Drogen bei Nic wirken könnten. Doch langsam erschleicht sich der Gedanke, dass alle Anstrengungen nicht helfen. Doch er wünscht sich so sehr, dass sie es täten.

Beautiful Boy untermalt den Kampf des Vaters und die Suche nach Antworten immer wieder mit Szenen aus der Vergangenheit. Sie nehmen uns mit in die Zeit vor Nics Drogensucht, sie zeigen Vater und Sohn, wie sie glücklich und unbeschwert sind. Wiederkehrende Orte, die Erinnerungen bei dem Vater hervorrufen und die nun nie wieder so sind, wie sie einmal waren. Weil Nic nicht mehr der ist, der er einmal war.

Nach den immer heftigeren Drogenexzessen Nics werden die Wiedersehen zunehmend eine Belastung für die Familie.

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Wie konnte es nur so kommen?

In absoluter Reportermanier versucht David nicht nur die Folgen der Drogensucht für Nic zu erfassen, er will auch verstehen, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Lag es vielleicht an seiner eigenen Drogenvergangenheit in der Jugend, seinem liberalen Verständnis dazu oder auch dem gemeinsamen Rauchen eines Joints mit seinem eigenen Sohn? Könnte es möglicherweise die Scheidung gewesen sein? Beautiful Boy ist gut darin, uns viele Anhaltspunkte zu geben. Nic wirkt mit zunehmendem Alter verschlossen und introvertiert, als würde etwas ihn einnehmen. Aber der Film versteht es genauso uns mitzuteilen, dass es diese eine Ursache nicht gibt. Wir können nicht erwarten, immer eine Antwort auf unsere Frage nach dem Warum zu finden, so sehr wir uns das auch wünschen. Vieles auf dieser Welt würde uns leichter fallen, verständlicher sein und am Ende stünden einfachere und schnellere Lösungen oder überhaupt welche. Doch so tickt die Welt nunmal nicht und mit ihr auch nicht ihre Menschen.

Kurz macht uns Beautiful Boy vor, eine einfache Lösung gefunden zu haben. Nic zieht zu seiner Mutter nach Los Angeles und fängt neu an. Eine andere Umgebungen, Treffen ehemals Drogenabhängiger und Trainings scheinen für ihn genau die richtige Medizin zu sein. Denn sein Vater, so fühlt er sich, habe kein wirkliches Vertrauen mehr zu ihm. Er beendet das College mit einem Abschluss, besucht seinen Vater und die Familie, um gemeinsam mit ihnen eine entspannte Zeit zu verbringen. Doch dieser Reset, der so erfolgsversprechend wirkt, entpuppt sich abermals als Illusion. Nic ist gefangen, kann sein Velangen nach Drogen nicht kontrollieren. Er ist ihm heillos ausgesetzt und ausgerechnet ein nächtliches wiedersehen mit seiner einstigen Freundin Laura setzt augenscheinlich den Sargnagel auf das Kapitel Entzug.

Wir können nichts mehr tun.

Langsam aber sicher schleicht sich bei David und Karen die Erkenntnis ein, nicht mehr für Nic tun zu können.

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Von nun an beginnen wir uns langsam zu verabschieden. Wir merken zunehmend, dass alles Hoffen, alle Versuche ins Nichts führen. Auch wenn Nic noch lebt, fühlt es sich an, als müssten wir uns wie von einem Toten verabschieden. Jemand, der nicht mehr zurückkommen kann, den wir womöglich nie wieder sehen. Vermutlich ist es sogar schlimmer als der Tod, denn wir wollen diese Endültigkeit einfach nicht akzeptieren, müssen es aber. Beautiful Boy lässt uns dies bildlich spüren. Nachdem Nick in das Sheff-Haus einbricht, verfolgt Karen ihn mit dem Auto, schafft es jedoch nicht, ihn einzuholen und gibt schließlich unter Tränen auf. Und auch David muss sich überwinden und seinem Sohn am Telefon klarmachen, dass er ihm nicht mehr helfen wird. Auch er bricht weinend zusammen.

Als Nic sich schließlich auf einer Bartoilette erneut einen Schuss verpasst und zusammensackt, sich windet und schlussendlich nur noch stillt daliegt, glauben wir an das Ende. Dass er überlebt und später sogar einen Ausweg aus der Drogensucht schafft, kommt einem Wunder gleich.

Beautiful Boy zeigt uns eindrucksvoll, was Drogensucht auslösen kann. Auch wenn er damit nicht der erste Film ist, den ich mit dieser Thematik gesehen habe, so hat er durch seine Erzählstruktur eine große Besonderheit. Denn er schilderr nicht nur die Tortur, die Nic im Laufe der Zeit durchläuft. Der Film nimmt sich auch das Umfeld, vielmehr seine Familie und im Bsonderen seinen Vater vor, der hilflos zusehen muss, was mit seinem Sohn geschieht. Der Sohn, dem er John Lennons Lied „Beautiful Boy“ zum Einschlafen vorsang, mit dem er zusammen aufs Meer hinausschwamm, um zu surfen und der niemals nur daran gedacht hat, wie sich das Leben der Beiden entwickeln würde. Beautiful Boy macht uns deutlich, dass nicht alles in unserer Macht steht und Scheitern etwas ist, dass jederzeit passieren kann. Wir müssen lernen, damit umzugehen.

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