Seit einem persönlichen Verlust hat Charlie angefangen, zu essen. Und hört nicht mehr auf.

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Bereits im Dezember letzten Jahres war The Whale, der neue Film von Darren Aronofsky, in den amerikanischen Kinos zu sehen. Nun endlich, fünf Monate und eine Oscarverleihung später, kommt er auch in die deutschen Kinos. Die im Vorfeld spekulierte und dann auch tatsächlich erfolgte Auszeichnung von Brendan Fraser als Bester Hauptdarsteller hat die Erwartungen in die Höhe geschraubt. Kann der Film sie erfüllen?

Charlie (Brandon Fraser) ist dick. Sehr dick sogar, er wiegt fast 280 Kilo und ist drauf und dran, sich buchstäblich in den Tod zu fressen. Eigentlich ist er Englischlehrer und übt seinen Beruf von zu Hause aus. Er gibt Online-Kurse, in denen er Student:innen das Schreiben von Essays lehrt, versucht, ihre Vorstellungskraft zu wecken. Diese Vorstellungskraft brauchen die Teilnehmer:innen des Kurses nicht nur für das Schreiben – sie bekommen auch ihren Dozenten nicht zu Gesicht und erahnen nicht, wie ihr Gegenüber aussieht. Und auch Carlie kann sich nicht mehr sehen, er schämt sich. Aber vom Essen kommt er auch nicht mehr los. Liz, eine Krankenschwester und Freundin, kümmert sich um ihn und macht sich zunehmend Sorgen um seinen Zustand. Er wird sterben, wenn er so weitermacht, und sie kann nur zusehen. Als Charlie selbst merkt, wie schlecht es um ihn steht, versucht er, wieder Kontakt zu seiner Tochter aufzunehmen, die er seit acht Jahren nicht mehr gesehen hat. Damals hatte er seine Frau verlassen, um mit einem Seminarteilnehmer zusammenzuleben. Aber jetzt sehnt er sich danach, seine Tochter zu sehen. Er hat Angst, dass auch ihre Zukunft nicht gut sein wird.

Charlie ist schon lange nicht mehr aus seiner Wohnung herausgekommen. Das Fenster ist der einzige Lichtblick.

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The Whale ist kein Film für zwischendurch. Und er ist auch kein rührseliges Drama, das einen trotz allem Schlechten in Watte packt. Nein, Der Wal ist durch und durch traurig, belastend und scheiße. Alle Figuren haben Fehler gemacht oder ein schlimmes Schicksal erlitten.

Ellie hasst ihren Vater und lässt ihn das durch all ihr Handeln und Reden spüren.

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Aronofsky spricht in diesem Film unsere tiefsten Gefühle an. Nur zu gut kennen wir die Momente, in denen wir uns selbst oder unsere Situation als bescheiden bezeichnen würden. Und wir wissen auch, dass wir oft einen Ausweg kennen – was noch lange nicht heißt, dass wir ihn auch gehen. Es kann sein, dass wir an diesem Punkt stehen bleiben oder uns sogar ins Gegenteil verkehren. Es ist ein Strudel, aus dem wir nicht mehr so leicht herauskommen und in dem es uns von Moment zu Moment schlechter geht. Charlie weiß inzwischen, wohin das führt, aber er schafft es nicht mehr, sich daraus zu befreien. Brendan Fraser lässt uns dieses Gefühl spüren, das Leiden und den Verfall von Charlie miterleben. Er kann nicht mehr aufstehen, ist auf den Rollstuhl angewiesen. Seine körperliche Hilflosigkeit ist Ausdruck des Schmerzes, den er erlitten hat. Und Liz, die alles tut, um ihn zu pflegen, zeigt ihre seelische Hilflosigkeit in dieser Situation. Hong Chau spielt diese Figur so mitreißend, dass man mit ihr weinen möchte.

Die körperliche Verwandlung und die Maske von Brendan Fraser sind unglaublich beeindruckend und machen seine Qualen glaubhaft. Sehr wirkungsvoll ist auch die Kameraführung: Das Bildformat ist mit 4:3 untypisch für einen Kinofilm gewählt. Dadurch entsteht jedoch ein gewolltes Gefühl der Enge. Nur selten zeigt der Film einen Ausschnitt der Außenwelt, die meiste Zeit spielt sich in Charlies mittlerweile sehr heruntergekommener Wohnung ab. Aber nicht nur die räumliche, auch die körperliche Enge spiegelt dieses Format wider. Immer wieder atmet Charlie schwer, ringt nach Luft, hat ein Engegefühl in der Brust. Und jedes Mal hat man das Gefühl, dass es vielleicht die letzte Qual ist, die er durchleiden muss. Zudem füllt sein Körper oft den Bildausschnitt aus und sorgt zusätzlich für das massive Erscheinungsbild. Hinzu kommt die Musik von Rob Simonsen, die mit einen zumeist nicht aufdringlichen, jedoch leicht bedrohlichen Klang aufwartet und so die verfahrene Situation von Charlie verdeutlicht. Eine ausweglose und traurige Situation.

Liz ist am Ende ihrer Kräfte. Sie kann nicht noch einen Verlust hinnehmen, bei dem sie trotz all ihrer Versuche machtlos bleibt.

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The Whale ist ein echter Runterzieher. Nach dem Film braucht man einige Momente, um das Gesehene zu Zu verarbeiten. Seine eigenen Schlüsse daraus zu ziehen. Und auch wenn das Ende und manche Situationen für manche vielleicht etwas zu dick aufgetragen sind, bleibt The Whale fast immer berührend. Zu sehen, wie Charlie buchstäblich unter seiner eigenen Last zusammenbricht, tut weh. Das ist schwere Kost, die zu Herzen geht.

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